Dankesrede von Stefan Kürle anläßlich der Verleihung des Fanal-Förderpreises an die alternative am 11.5.2003

 

Sehr geehrte Revoluzzer,

Heut spricht ein Lampenputzer,

Bitte leiht mir Euer Ohr –

Habt ja doch nichts bess’res vor !

Wenn ich nun den Bogen wage,

Hundert Jahre überschlage,

Ist das Elend einerlei,

Ob 1900 oder 2003

Und noch eins: Ist der Vortrag Euch zu herb,

verzeiht es mir, ich sprech’ halt derb.

Drum Achtung, wird mein Thema angerissen,

ganz klar, dann wird auch angeschissen !

Liebe Putzfrauen, Migranten, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
lieber Frank-Thomas Gaulin !

Wenn Erich Mühsam heute unter uns wäre, was würde er uns zu sagen haben? Würde er sich abspeisen lassen mit einem eigenen Straßennamen – natürlich nicht mit einer Allee wie ein General Moltke, aber immerhin direkt am Stadtrand, in Lübecks hintersten Winkel gelegen?

Würde er, der überzeugte Pazifist, sich beteiligen an der Diskussion um gerechte, gerechtfertigte oder einfach auch nur neokoloniale Eroberungskriege? Würde er Hurra schreien, wenn – egal von welcher Seite der großen Volksparteien -  die endgültige neue Weltordnung angelegt werden soll ?

Ich sage: Nein!

Erich Mühsam wäre heute unter uns: bei den Globalisierungsgegnern, den Pazifisten, den aufrechten Arbeitnehmervertretern in den betrieben und natürlich bei allen, die es wagen, ihre Utopie von einem selbstbestimmten Leben zu verwirklichen.

Gern würde ich noch länger über mein altes Vorbild Erich Mühsam fabulieren, aber ich habe heute die besondere Ehre, den Fanal-Preis für die alternative entgegennehmen zu dürfen.

Die alternative war von Anfang an in ihrem 25jährigen Bestehen ein Projekt, eine mühsamsche Utopie vom selbstbestimmten Denken, Fühlen und Handeln.

Während die alternative sofort unter der Jugend Lübecks ihren festen Platz hatte, waren wir der Reaktion von Anfang an weit mehr als nur ein Dorn im Auge. Schnell mussten auch wir lernen, dass wer sich querstellt, nicht durch die Gesetze des Staates geschützt, sondern verfolgt wird. Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmeaktionen, Verordnungen und Verfügungen gipfelten vor acht Jahren in der spektakulären Entführung von zwei Genossen nach Karlsruhe. Der Vorwurf: Herausgabe der illegalen Zeitung „radikal“. Nach 7 Monaten Isolationshaft und einem anschließenden Prozess, der natürlich mit keiner Verurteilung, aber immerhin mit dem finanziellen Ruin der Angeklagten endete.

Gestern begingen wir den 70. Jahrestag der Bücherverbrennung, aber die Verbrennung und Unterdrückung nicht staatstragender Kunst und Kultur wird mit anderen Methoden fortgesetzt: Ich erinnere an den pinkelnden Jesus auf dem Dach der Walli. Kunst, die eine Aussage hatte, natürlich höchst diskutabel, aber Kunst. Mit einer Einsatzhundertschaft martialisch ausgerüsteter Staatsschergen wurde die Skulptur beschlagnahmt, die alternative wegen „Gefahr im Verzug“ durchsucht und der Künstler vor Gericht gezerrt.

Wenn die Jugend dieser Stadt in all den Jahren nicht gekämpft hätte – ich wäre heute nicht hier. Hier stehe ich, weil wir kämpfen, für uns, für unsere Utopie. Lasst es mich gleich sagen: Wir werden immer Eure Unterstützung, die Unterstützung der Anständigen, benötigen.

Auch jetzt sind wir von Schließung bedroht. Nein, diesmal nicht durch Staatsschutzgesetze wie in den 70er und 80er Jahren. In den Zeiten des Neoliberalismus zählt nur das Geld und wir scheinen beim großen Abkassieren nur zu stören. Die Jugend sitzt auf einem angeblichen Filetgrundstück, mit dem die CDU angeblich zum Wohle unserer Stadt besseres anzufangen weiß.

Mag ja sein, dass an den Tischen der CDU das Filetstück an den Patriarchen geht und für die Kinder die Knorpel und Knochen reichen. Ich selbst bin Vater und mir macht es besondere Freude, meinen Kindern die besten Happen zuzustecken. Herr Puschaddel, die Jugend ist auch Ihre Zukunft – und so wie Sie mit ihr umgehen, sieht sie düster aus! Mit perikleischer Zuversicht sage ich Ihnen, dass sie sich an uns die Zähne ausbeißen werden und dass sie den Tag verfluchen werden, an dem Sie beschlossen haben, alte Rechnungen zu begleichen.

Bevor wir heute nun in Eintracht über Krieg und Frieden debattieren, möchte ich mich im Namen der alternative für Euren Preis bedanken. Ich bin mir der großen Ehre bewusst und kann im Namen des Hauses versichern, dass wir uns anstrengen werden, diesem Preis gerecht zu werden.

Lasst diesen Preis ein Fanal sein – ein Zeichen des Aufbegehrens gegen die Mächtigen. Ein Fanal, dass Kultur und Politik nicht zu trennen sind. Ein Fanal, dass wir das Recht haben, unser Leben selbstbestimmt zu führen. Aber auch ein Zeichen dafür, dass Solidarität keine Grenzen kennt:

Seit mehreren Jahren betreut das in der alternative beheimatete Café Brazil ein kinder- und Waisenheim in Kenia. Mit unserer Hilfe konnte dort bereits Land gekauft und es konnten Häuser gebaut werden. Viel internationalistische Hilfe ist aber noch nötig. Wir denken, dass die Hälfte des Preisesgeldes in Lesefibeln dort gut angelegt ist – denn nur wer die Welt versteht, kann sie auch ändern.

Unsere Solidarität gilt aber auch und ausdrücklich dem Frauenbüro der Hansestadt Lübeck und der Integrierten Gesamtschule Schlutup. Beides sind auch Einrichtungen, die der Reaktion ein Dorn im Auge sind und deswegen auf Dauer in ihrem Bestand gefährdet. Als Zeichen der Verbundenheit möchten wir deshalb eine Klassensatz Bücher Erich Mühsams an die IGS spenden und hoffen. Dass auch dort das aufrechte Gehen morgen noch gelehrt wird.

Mit diesem Wunsche schließe ich und würde mich freuen, wenn Ihr Euch in den ausliegenden Unterschriftenlisten mit uns solidarisch erklärt. Noch mehr würde ich mich freuen, die eine oder den anderen im exklusivsten Verein der Stadt begrüßen zu dürfen, dem alternative Tagungsstätte e.V.