6.12.2003: Redebeitrag der Lübecker Vorbereitungsgruppe für die Kongreß- und Aktionswoche in Berlin

 

Vom 4.-12. April 2004, also in der Osterwoche, findet in Berlin eine Kongress- und Aktionswoche statt, zur Vernetzung selbstverwalteter Strukturen mit vielfältigen, radikalen Aktionen und most possible Außenwirkung.

Ich halte diesen Redebeitrag für die Lübecker Vorbereitungsgruppe.

In Hamburg wurden im Herbst letzten Jahres die Wagenplätze Schützenstr. und Bambule geräumt, eine Vertreibungs- und Repressionswelle gegen WagenbewohnerInnen und UnterstützerInnen folgte. Die Reihe der bedrohten oder geräumten Zentren und Wagenplätze ist mittlerweile so lang, dass es fast unmöglich ist, alle aufzuzählen. Weltweit sind linke Strukturen gefährdet und müssen um ihre Existenz kämpfen.

Egal ob die einzelnen Konflikte sich nun um geänderte Eigentumsverhältnisse, autoritäre Verordnungen, die das dauerhafte Wohnen im Wagen kriminalisieren oder um für nicht kommerzielle Projekte unerfüllbare Auflagen, Mieten und Kontrollansprüche von Ämtern handelt - das Muster ist immer ähnlich: Widerständige und nicht kommerzielle Strukturen und Projekte fügen sich einfach nicht in das Idealbild einer durchkapitalisierten Gesellschaft ein und müssen so mit Angriffen auf  verschiedensten Ebenen rechnen. Daher handelt es sich bei den Konflikten in den einzelnen Städten auch nicht um lokale Konflikte, sondern um einzelne Facetten einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung.

In selbstverwalteten Projekten soll unser politischer Anspruch wenigstens teilweise im Alltag verwirklicht werden. Hausprojekte, Wagenburgen und linke Zentren sind nicht nur Rückzugs- und Schutzraum, sondern gerade auch Ausgangspunkte für den politischen Kampf nach außen. Kollektives Wohnen, Volxküchen, Umsonstläden ermöglichen es, sich der kapitalistischen Verwertungslogik wenigstens teilweise zu entziehen.

Arbeitskollektive und selbstverwaltete Betriebe bieten eine Alternative zu einer Arbeitswelt, die von Konkurrenz, Leistungsdruck und Individualisierung geprägt ist. Infoläden und unabhängige Medien schaffen nicht nur Gegenöffentlichkeit, sondern dienen auch der Vernetzung emanzipatorischer Projekte untereinander.

Autonome Zentren bieten Raum, sich zusammen zu organisieren für politische Veranstaltungen, aber auch für unkommerzielle Kulturveranstaltungen jenseits des Mainstreams. In diesen linken Strukturen soll ein Leben ohne Rassismus, Sexismus und Herrschaft zumindest vorstellbar werden.

Es geht uns nicht darum, uns eine friedliche alternative Nische zu schaffen abseits der schlimmen Welt. Vielmehr sind linke selbstverwaltete Strukturen Basis unserer politischen Kämpfe. So geht es bei dem Kampf für den Aufbau und Erhalt linker Strukturen also auch darum linke Politik als solches zu verteidigen.

In einer Gesellschaft, wo Menschen nach ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit behandelt werden, werden grundsätzlich alle, die sich dieser Logik nicht einfügen wollen oder können, als Sündenböcke dargestellt und mit verschiedensten Repressionen belangt.

Dieses trifft nicht nur linke Projekte, sondern auch insbesondere solche Gruppen, die bislang sowieso schon an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden und von denen angenommen wird, dass sie sich nicht wehren können.

Menschen ohne deutschen Pass werden pauschal in verschiedene Sparten gesteckt. Ein Kriterium hierfür ist u. a., ob sie für wirtschaftlich nützlich gehalten werden.

Wenn nicht, drohen ihnen Schikanen, Repressionen und Verfolgung, sie werden in Sammellager gesteckt und abgeschoben oder ihnen wird von vornherein die Einreise unmöglich gemacht.

Durch die Sozialgesetzgebung und deren immer weitergehende Verschärfung, werden z. B. SozialhilfeempfängerInnen und Arbeitslose gezwungen jeden Job anzunehmen. Außerdem müssen sie sich von den zuständigen Behörden weitere Schikanen gefallen lassen, ansonsten werden Gelder gekürzt bzw. es droht ihnen der Rauswurf aus den Resten des sogenannten sozialen Systems.

Menschen/Gruppen, die sich nicht in die schöne neue Konsumwelt einpassen, wie z. B. Punks, Junkies oder Obdachlose, sollen zumindest nicht mehr im Stadtbild sichtbar sein. Maßnahmen zur Umsetzung sind neue Stadtverordnungen, welche schnorren, saufen und pissen in der Öffentlichkeit untersagen oder auch pauschale Betretungsverbote für einzelne Plätze in Innenstädten und Bahnhöfen. Graffitis und wildes Plakatieren werden als Vandalismus und Gefahr für die öffentliche Sicherheit verurteilt. Zur Durchsetzung werden überall Kameras angebaut,  private Sicherheitsdienste beauftragt und mehr Polizei eingesetzt, die zudem mit immer weitreichenderen Befugnissen ausgestattet werden.

Hausprojekte, Wagenprojekte oder andere linke Einrichtungen fügen sich natürlich ebenfalls nicht in konsumorientierte, saubere Innenstädte ein.

Und gerade dieser Konflikt macht linke Orte in Städten umso wichtiger. Denn sie stellen sich nicht nur einer totalen Kommerzialisierung der Stadt entgegen, sondern versuchen auch, die Möglichkeit eines anderen Lebens sichtbar zu machen.

Linke Projekte sind aber nicht nur von außen bedroht. Viele Projekte zerbrechen auch an inneren Konflikten um unterschiedliche politische Zielvorstellungen oder Lebensperspektiven. Andere Projekte durchlaufen einen Prozess der Kommerzialisierung, bei dem aus dem ehemaligen Arbeitskollektiv mit egalitärem Anspruch ein Chef-Betrieb oder aus einem linken Kulturzentrum eine gewöhnliche kommerzielle oder staatlich bestimmte Einrichtung wird. Gerade die aus vieler Sicht durchaus wünschenswerte Legalisierung oder öffentliche Förderung ist hier oft ein Einfallstor.

Aber auch die schlichte Bequemlichkeit oder die Angst linksliberale oder bürgerliche UnterstützerInnen zu verlieren, die im Falle einer Räumung wichtig erscheinen, fördert die Inaktivität und Verwässerung politischer Positionen.

Leider gehen zur Zeit wesentlich mehr selbstbestimmte Projekte an den genannten Konflikten kaputt, als neu entstehen. Es gibt aber mit einigen erfolgreichen Neubesetzungen oder neuen basisdemokratischen Medienprojekten wie indymedia auch erfreuliche Gegenbeispiele.

Und damit sich dieser Trend bald umkehrt, veranstalten wir diese Aktions- und Kongresswoche.

Der Kongress soll dem Austausch zwischen den Projekten, gerade auch unterschiedlicher Art und Ausrichtung dienen. Darüber hinaus wollen wir neue Perspektiven und Möglichkeiten erarbeiten.

Und nicht zuletzt soll es in dieser Woche nicht nur beim Reden bleiben. Wir wollen uns mit vielfältigen auch radikalen Aktionen wieder Raum im Stadtbild und in der gesellschaftlichen Diskussion aneignen.

Wir haben den Anspruch, dass es mit dieser Aktions- und Kongresswoche nicht nur bei einem einmaligen Treffen bleibt, sondern auch Ausgangspunkt für eine weitere Vernetzung bildet und so etwas wie eine gemeinsame politisch inhaltliche Plattform entwickelt wird.

Nur so scheint es uns möglich, wieder handlungsfähig zu werden und gemeinsamen Widerstand gegen Räumungen und ähnlichen Murks zu entwickeln oder perspektivisch neue Freiräume zu erkämpfen.

Bringt eure eigene Ideen ein. Beteiligt euch an der Vorbereitung!

Weitere Infos könnt Ihr nach der Demo im Infoladen bekommen.